Betreibt die Bundesregierung Software-Lobbypolitik?

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Die SPD-Bundestagsfraktion gab letzte Woche unter Federführung des Abgeordneten Oliver Kaczmarek eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung ab. Es besteht der Verdacht, dass das von der FDP geführte Auswärtige Amt die unter der rot-grünen Bundesregierung vorgenommene Umstellung auf freie Software rückgängig macht. Sollte dies der Fall sein, begeht sie nicht nur sicherheitspolitisch einen großen Fehler, es würde den Steuerzahler vermutlich einen höheren dreistelligen Millionenbeitrag kosten.

UPDATE: Die Antwort der Bundesregierung und was diese bedeutet.

In einem Blogpost auf der Seite des Abgeordneten Oliver Kaczmarek (Twitter Profil) wird der Sachverhalt geschildert. In dieser Anfrage soll geklärt werden, ob die IT-Strategie, die vor Jahren begonnen worden ist, weitergeführt wird. Die rot-grüne Bundesregierung stellte vor knapp zehn Jahren die Computer komplett auf freie Software um. Dieser Schritt war mutig und wegweisend, zahlte sich aber ebenso aus. So berichtete heise online im Jahr 2007:

Das Auswärtige Amt konnte mit einer konsequenten Open-Source-Ausrichtung seine Ausgaben für Informationstechnik in den vergangenen fünf Jahren deutlich reduzieren. „Wir haben seit Januar 2002 die Strategie, Open Source überall einzusetzen, wo dies sinnvoll ist“, erklärte der für die IT-Ausrichtung des Außenministeriums zuständige Leiter, Rolf Schuster, gegenüber heise online. Inzwischen laufe allein auf den stationären Desktops noch Windows, während die Devise laute, „praktisch nur noch freie Software einzusetzen“. Ziel sei es, Lizenzkosten zu sparen und die von Microsoft diktierten Update-Zyklen nicht mehr mitzumachen. Das bisherige Ergebnis kann sich sehen lassen. Seit der Umpositionierung ist das Auswärtige Amt Schuster zufolge „das mit Abstand günstigste Ministerium im Bund bei den IT-Kosten“.

Allein die Umstellung des Intranets, das das Auswärtige Amt mit den vielen Botschaften weltweit verbindet, dürfte bei unfreier Software circa 100 Millionen Euro kosten, bezieht man sich auf die angesetzten Kosten von 2001. Zum Vergleich: Die Ausrüstung mit freier Software kostete damals nur 17 Millionen Euro.

Es kursieren momentan Spekulationen im Umfeld von Unterstützerinnen und Unterstützer von freier Software, dass das Auswärtige Amt die Rückumstellung durchführen will.

Gegen eine Umstellung auf proprietäre (also unfreie) Software gibt es viele Argumente:

  • Die Anschaffung von unfreier Software ist teuer.
    Im Gegensatz zu freier Software müssen teure Lizenzen erworben werden. Dies betrifft nicht nur das Betriebssystem, sondern auch Anwendungssoftware (Office-Pakete, Buchhaltungssoftware) oder Serversoftware.
  • Durch die Umstellung auf proprietäre Software entstehen hohe Folgekosten.
    Der Erwerb der einzelnen Softwarelizenzen sind nicht die einzigen Kosten, die auf den Fiskus zukämen. So müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erneut umgeschult werden. Ebenso ist, wie bei jeder Umstellung, zu Beginn mit technischen Problemen zu rechnen. Außerdem müssen alle Dateien, die in den letzten Jahren angelegt wurden, in ein anderes Format umgewandelt werden. Die Migrationskosten sind demnach enorm.
  • Proprietäre Software schadet dem Mittelstand in Deutschland.
    Kleine und mittelständische Firmen können bei dem Einsatz von freier Software unterstützen. So können sie spezielle Anpassung entwickeln, die der Anwender benötigt.
  • Unfreie Software heißt auch Unfreiheit bei Updates und Hilfestellungen.
    Da Updates nur vom Hersteller selbst entwickelt werden können ist man auch weiterhin auf die entsprechende Firma angewiesen. So können beispielsweise wünschenswerte Änderungen, anders als bei freier Software, u. U. niemals in der Software implementiert werden.
  • Proprietäre Software ist unsicher.
    Die meisten Computerviren, -würme und -trojaner sind für Windows-Systeme entwickelt. Durch den Einsatz von Linux lässt sich nicht nur die Gefahr, die durch Schadsoftware entsteht, per se verkleinern, das Betriebssystem kann den eigenen Sicherheitsanforderungen viel besser angepasst werden. Gerade im Bereich der Spionage oder Manipulationen („Stuxnet“ als Beispiel) ist die Sicherheit der Systeme immer mehr von Bedeutung.
  • Freie Software ist ein schützenswertes Kulturgut.
    Seit 2003 wird freie Software durch die UNO als „schützenswertes Kulturgut“ anerkannt. Vor allem die Bekämpfung der digitalen Kluft wird durch freie Software gestärkt, da die regionale IT-Wirtschaft gefördert wird.
  • Freie Betriebssysteme stehen in Sachen Benutzerfreundlichkeit den unfreien in nichts nach.
    Während vor 10 Jahren freie Betriebssysteme sicherlich Computerexpertinnen und -experten vorbehalten war, wurden entsprechende Systeme in den letzten Jahren vor allem in Bezug auf Awenderfreundlichkeit optimiert. Einige Linuxdistributionen lassen sich z. B. direkt von CD starten, haben eine ähnliche Optik wie Windows oder Mac OS und lassen sich einfach bedienen. Das Argument Benutzerunfreundlichkeit hätte vor zehn Jahren u. U. gezählt, dennoch wurde die Umstellung durchgeführt. Im Jahr 2011 ist dieses Argument auf jeden Fall nichtig.

Besonders diese Fragen sind in der Kleinen Anfrage sehr interessant:

Wie hoch beziffert die Bundesregierung die Kosten, wenn eine Rückumstellung im Auswärtigen Amt von freier Software zu proprietärer Software erfolgen würde? Welche mittelbaren Kosten würden durch eine mögliche Rückumstellung auf proprietäre Software entstehen, wobei hier insbesondere Auswirkungen auf die Server-Infrastruktur, Ausstattung und Anbindung der Auslandsvertretungen, Abhängigkeit von Release-Zyklen und Neubeschaffung von Hardware aufgrund der Leistungsanforderungen proprietärer Software gemeint sind?

und:

Welche Unternehmen sind an diesen Gesprächen beteiligt?

Es bleibt die Antwort der Bundesregierung abzuwarten. Sollte sie tatsächlich eine Umstellung auf unfreie Software durchführen, so ist diese unnötig, teuer und unsicher. Man könnte gar auf die Idee kommen, ein Jahr nach der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers gäbe es in puncto Lobbypolitik eine Fortsetzung. Aber warten wir es ab…