Und weil der Mensch ein Mensch ist
Überrascht habe ich heute Morgen über Twitter erfahren, dass Franziska den Vorsitz – ein Jahr vor dem eigentlichen Ablauf ihrer zweiten Amtszeit – niederlegt. Dieser Schritt verlangt viel Respekt und Mut: Rücktritte aus privaten Gründen sind besonders bei Ehrenämtern nachzuvollziehen und gerade mit Bezug auf den Abschluss der beruflichen Ausbildung sogar löblich (es gibt in der Politik viele gegensätzliche Beispiele).
Franziska Drohsel hatte keine leichte Aufgabe. In kritischer Solidarität mit der Mutterpartei zu stehen, vor allem in dem „Superwahljahr 2009“, ist nicht einfach. Einen Verband zu vertreten, der in drei oder mehr Strömungen zu unterteilen ist und bei dem das Selbstverständnis in der Hauptstadt Berlin oder Bundesstadt Bonn ein ganz anderes ist als in der rheinischen Metropole Köln oder der Hansestadt Hamburg, war sicherlich alles andere als ein lockerer Job. Im Bundesvorstand der SPD, in dem sie qua Amt Mitglied war, die Positionen und Ideen der Jusos gegen Widerstände zu vertreten und andererseits in Talkshows Mehrheitsentscheidungen der Partei, die in den letzten Jahren nicht immer auch Meinungen des Verbands waren, verteidigen zu müssen, war eine teils paradoxe Aufgabe, die den Rahmen der Dialektik schon zu sprengen drohte.
Ob mit den „63 Thesen – Für eine Linke der Zukunft“ das Rad neu erfunden wurde sei diskussionsfähig, aber neben den oben beschriebenen Aufgaben hat Franziska eine Aufgabe gut gemeistert: dem Bildungsauftrag für junge, links sozialisierte Menschen nachzukommen. Sie hat es auch in der Außendarstellung geschafft, Jusos über die aktuelle Tagespolitik als sozialistischen, feministischen und antifaschistischen Verband zu positionieren. Wer Jusos zwar nur als „junge SozialdemokratInnen“ sieht (und damit die Existenz und den Auftrag der Jusos ad absurdum führt), fühlt sich vielleicht vor den Kopf gestoßen; Franziska blieb aber der Tradition ihrer VorgängerInnen treu. Durch viele Veranstaltungen (Links2010, Linkswende) schaffte sie eine neue Form der Partizipation und erreichte vor allem viele junge Mitglieder. Durch Mobilisierung für und Präsenz auf Demonstrationen unterstrich sie die oft geforderte „Doppelstrategie“ der Jusos, um den Verband bündnisfähig und kampagnenorientiert zu organisieren.
Ihre größte Leistung war allerdings, und dies hört sich banal an, menschlich zu bleiben. Bei Maybritt Illner auch mal das Wort „krass“ zu benutzen und „Mob Action“ Shirts zu tragen, entspricht linker Jugendkultur deutlich mehr, als mit einem adretten Kostüm mit Hochschulvokabular über Dinge zu schwadronieren. Sie hat genau das vertreten, was so häufig von der Politik verlangt wird: Natürlichkeit und eine gewisse Unangepasstheit. Ihr ist es gelungen, durch ihre Art Sympathien zu wecken, die häufig kritisierte Abgehobenheit der Politik zu negieren und Fakten auf die Realität und Lebenswirklichkeit herunter zu bringen. Durch ihren Rücktritt hat sie auch gezeigt, dass zu allererst ein eigenständiger Mensch und dann Jusovorsitzende ist. Eine gewisse (wichtige und richtige) Distanz, die man sich von deutlich mehr FunktionsträgerInnen wünschen würde, die ihr Amt mit Verbissenheit führen.
Zum Abschluss eine persönliche Erfahrung mit Franziska: Ich war als Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses u.a. mitverantwortlich bei der Organisation des Europawahlkampfauftaktes in Köln im Frühjahr 2009. Kurz vor Beginn erschien Franziska. Ich war relativ überrascht, da wir mit ihrem Kommen nicht gerechnet hatten und die vorderen, für die Kamera wichtigen, Plätze bereits belegt waren. Ich fragte sie, ob wir ihr ebenfalls einen Platz in der ersten Reihe organisierten sollen. Ihre Antwort war: „Nein, ich gehe nach hinten zu meinen Jusos“.
Das Paradox an ihrem Rücktritt: Gerade dadurch hat sie sich noch mehr qualifiziert, auch weiterhin in der Politik an einer führenden Position präsent zu sein. Dies kann man der SPD, der Politik überhaupt, nur wünschen.
Veröffentlicht auf vorwaerts.de und in Teilen in der Print-Ausgabe des Vorwärts 05/2010.